„Schweigen. Wer
inniger schwieg,
rührt an die
Wurzeln der Rede.
Einmal wird ihm
dann jede
Erwachsene Silbe
zum Sieg ...“
Rainer Maria Rilke
Zum Tod von Georg Kühlewind
Am 15. Januar 2006 ist Georg Kühlewind nach kurzer, schwerer Krankheit in
Budapest gestorben. Er hat frei und furchtlos gelebt und ist furchtlos aus der
undurchsichtigen, geformten, in die dursichtige, formfreie Welt getreten.
Er wurde 6. März 1924 in Budapest geboren. Mit
etwa 40 hat er sich entschlossen, von vorne anzufangen, und den geistigen
Schulungsweg neu aufzubauen. Mit 55 ließ er sich von seinem Lehrstuhl für Physikalische
Chemie an der TU Budapest pensionieren und widmete sich seither ausschließlich
der Geistesforschung. Er hat über 20 Bücher geschrieben und weltweit unzählige Vorträge
gehalten zu Themen wie der Erkenntnistheorie und -praxis, der Psychologie, der
Pädagogik, der Sprachwissenschaft und der Christologie. Vor einigen Jahren hat
er entdeckt, dass in größerem Ausmaß
Kinder auf die Erde kommen mit einer neuartigen Bewusstseinsstruktur und mit
einer klaren Sendung einen Impuls zum Guten auf die Erde zu bringen. Wir bemerken
die Existenz dieser Kinder meistens erst dann, wenn sie durch ihre
ungewöhnliche Offenheit und die daraus resultierende Verletzlichkeit, in einer
verständnislosen Umgebung zu „schwierigen“ Kindern werden. Er aber hat ihr
ewiges Wesen, ihre Bethlehem-Sterne wahrgenommen und versuchte uns auf diese
zutiefst bedeutende, erfreuliche und zugleich gefahrvolle Entwicklung aufmerksam
zu machen.
Ich habe ihn vor 28 Jahren, als ich selber 28 war,
in Zürich kennengelernt. Ich bin unendlich dankbar, dass ich seither zum Kreis
seiner Schüler und Freunde zählen durfte. Hätte ich ihn nicht gekannt, wüsste
ich nicht, dass es die Möglichkeit eines freien, reinen und furchtlosen Lebens
tatsächlich gibt. Nicht in Büchern, Märchen und Legenden, sondern hier unter
uns in dieser gewalttätigen, unehrlichen und beängstigenden Welt. Hätte ich ihn
nicht gekannt, wüsste ich nicht, dass jeder von uns jederzeit einen völlig
neuen Anfang setzen, sich von seinen Vorurteilen völlig befreien und seinen
eigenen Weg antreten kann. Hätte ich ihn nicht gekannt, wüsste ich nicht, dass in
der geistigen Schulung die konzentrierte Aufmerksamkeit dermaßen verstärkt
werden kann, dass sie sich selbst begegnet, und damit das wahre, ewige,
unerschütterliche Ich geboren werden kann. Dass der Mensch jeder Lebenslage
einen Sinn geben, dass er sich aus jeder Not erheben kann. Dass er alles kann –
und auch auf alles verzichten kann. Dass jemand „Diener des Logos“ werden kann,
ohne auf Erfolg, auf Anerkennung, auf Lohn zu warten. Dass die greifende Hand
sich in eine leere, empfangende Hand umwandeln kann. Dass sich das Bewusstsein
umkehren, leer machen – und damit in den Strom des geistigen Geschehens eintreten
kann. Dass es eine Reinheit gibt, die man nicht anstreben, aber trotzdem
erreichen kann. Dass der Mensch tatsächlich deshalb auf die Erde kommt, um von
der Wahrheit und von der Liebe zu zeugen. Jeder Mensch.
Viele von uns haben nicht nur seine Schriften,
sondern ihn auch persönlich gekannt. Diejenige, die ihn kennengelernt und
geliebt haben, erleben jetzt tiefe Trauer und Ratlosigkeit. Wir finden ihn auf
der Erde nicht mehr. Wir müssten ihn suchen. Zum Gedenken an ihn veröffentlichen wir den
folgenden Text, den er zu Allerseelen 1999 verfasst hat, und in dem er Hinweise
zu einer Suche nach geliebten Verstorbenen gibt.
Laszlo Böszörmenyi